Ferdinand von Schirach-„Der stille Freund“
Auszug aus dem Buch des Autors über unseren Gründer

Gottfried von Cramm  

Gegenüber dem Krankenhaus, in der Großen Hamburger Straße, liegt die Sophienkirche. 1964, noch in der DDR, predigte Martin Luther King hier. Obwohl sein Besuch nicht offiziell angekündigt war, hatte er sich herumgesprochen, und die Kirche war übervoll. Die Menschen wollten den Mann sehen, der den großen Traum von Gleichberechtigung und Freiheit hatte und deshalb vier Jahre später von einem Rassisten erschossen wurde.

In der kargen Kirche mit dem Altar aus weißem Marmor hängt in einer Nische der Südwand ein Porträt der Stifterin, Königin Sophie von Preußen. Es ist keine gute Arbeit, das Bild ist wohl oft übermalt worden, aber die Schönheit der Königin ist noch zu erkennen. Sophie war anstrengend, etwas zu pietistisch und wohl auch ein wenig verrückt. Sie soll am preußischen Hof »gemütskrank« geworden sein, wie das damals genannt wurde. Sie war die dritte Frau des alten Monarchen, ihre Ehe blieb kinderlos. In einer Nacht irrte sie mit einer Schnittverletzung durchs Stadtschloss. Der schwerkranke König sah sie auf dem Gang und hielt sie für seine Todesbotin. Danach wurde Sophie nach Schwerirr abgeschoben zur Einweihung ihrer Kirche wurde sie nicht einmal eingeladen.

In den Kirchhof hat ein Cafehaus ein paar Stühle und Tische gestellt. Ein steinerner Engel bewacht mich dort, zu seinen Füssen liegt ein Putto mit verhülltem Haupt und einer winzigen Sense des Todes. Nach den Fiebernächten bin ich oft dort. Der Apfelkuchen ist frisch und der Kaffee gut. Ich sehe den Kindern zu, die zwischen den Grabsteinen Versteck spielen.

Später muss ich wieder zurück ins St. Hedwig- Krankenhaus. Vor fast 18o Jahren haben vier Schwestern vom Orden des Heiligen Karl Bürohaus das Krankenhaus in der Kaiserstraße gegründet. Sie wollten für arme Katholiken in Berlin eine menschenwürdige Krankenversorgung. Der König erlaubte es. Das alte Gebäude wurde schnell zu eng, und die Ordensschwestern zogen mit den Patienten in die Große Hamburger Straße, in ein neogotisches Gebäude mit hohen Räumen, großzügigen Treppenhäusern und hübschen Bodenfliesen. 150 Jahre lang gingen die Ordensschwestern von Bett zu Bett, trösteten, heilten und wiesen niemanden ab, der krank an ihre Tür klopfte. Jetzt sind sie längst nicht mehr hier, der Orden hat keinen Nachwuchs. Aber noch gibt es in den Nischen der Gebäude ihre steinernen Heiligen und eine Kapelle, die bis zum Dach mit wildem Wein bewachsen ist. Im Innenhof steht ein stillgelegter Brunnen, den die Schwestern der heiligen Agatha geweiht hatten, weil im letzten Weltkrieg keine Bombe das Krankenhaus getroffen hatte. Eine Krankenschwester erzählt mir, sie habe ihre Ausbildung noch bei den Ordensschwestern gemacht. In den Pausen hätten sie »zur Ertüchtigung« im Innenhof Federball gespielt, und die Schwester Oberin habe an die Lehrmädchen Süßigkeiten verteilt.

In meinem Zimmer staut sich die Hitze, es ist der heißeste Sommer seit Jahrzehnten. Erst nachts kühlt es langsam ab. Jeden Abend um halb neun fliegen hunderte Krähen auf das Dach des Haupthauses und schlafen dort eine Stunde eng nebeneinander. Morgens und abends schreien Patienten der psychiatrischen Abteilung über den Hof, gequält von sich selbst.

Nach den kurzen Besuchen im Cafe sitze ich manchmal noch eine Stunde im Innenhof unter dem großen Ginkgo-Baum. Ein älterer Herr sagt meinen Namen. Ich stehe auf, um ihm die Hand zu geben, aber ich brauche einen Moment, bis ich ihn erkenne. Es ist ein Richter aus Moabit, der vor einigen Jahren pensioniert wurde, der Vorsitzende eines Schwurgerichts. Er sei seit zwei Wochen hier, sagt er. Eine komplexe Operation, alles sei gut verlaufen, und nun warte er auf die Entlassung.

Ich frage ihn, was er heute tue. Seine Frau sei früh verstorben, sagt er. Er sei also bei seiner Pensionierung alleine gewesen und habe viel Zeit gehabt. Er sei sechs Jahre lang durch die Welt gereist. Er habe sich all die Orte angesehen, die er immer schon sehen wollte: Den Grand Canyon in den USA, die Maya-Ruinen in Yucatan, den Serengeti Nationalpark in Tansania und die Felsenkirchen in Lalibela. Er habe in Indien den Taj Mahal, das Rote Fort in Delhi, die Ajanta-Höhlen besucht, und er habe gesehen, wie die Toten in Varanasi verbrannt wurden. Das alles sei interessant gewesen, aber auf Dauer doch zu anstrengend, und irgendwann sei es ihm zu viel geworden. Er wohne jetzt wieder in Berlin. Er lese viel und kümmere sich um seine Enkelkinder. Vielleicht werde er irgendwann noch die asiatischen Länder besuchen, die er bisher kaum kenne.

Er war ein angenehmer Richter gewesen, genau, ruhig und sehr langsam. Seine Verurteilungen waren hart, aber er sprach die Angeklagten auch sofort frei, wenn er nur eine Spur Zweifel hatte. Das Leben in der Strafjustiz sei doch seltsam gewesen, sage ich und frage ihn, wie er es so lange ausgehalten und überstanden habe. Wie sei es möglich gewesen, frage ich den pensionierten Richter, ein ganzes Berufsleben vernünftig zu urteilen und distanziert zu bleiben, trotz all des Leids und der Verwerfungen und des Hasses.

Der Richter lächelt und zieht aus der Innentasche seiner Jacke seine Brieftasche.
»Ich hatte einen kleinen Trick«, sagt er. »Der hat mir geholfen.«
Er nimmt aus der Brieftasche ein abgegriffenes Schwarz-Weiß-Foto und gibt es mir.
»Ist das Prinz Philip, der Ehemann der Queen?«, frage ich. Auf dem Foto ist ein Tennisspieler in langen Hosen zu sehen.
»Stimmt, Sie haben recht«, sagt der Richter, »er sieht Prinz Philip tatsächlich ähnlich. Ist mir noch nie aufgefallen. Aber nein, es ist Gottfried von Cramm.«
»Der Tennisspieler?«
»Ja, der Tennisspieler«, sagt er. »Gottfried von Cramm war ein ganz außergewöhnlicher Mann.«

*

1909 wurde Freiherr Gottfried von Cramm als dritter von sieben Brüdern geboren. Seine Mutter war eine Gräfin von Steinberg, die letzte Erbin ihrer Familie. Sie brachte fünf Patronate und sieben Güter mit in die Ehe. Cramm wuchs auf Schloss Brüggen bei Hannover auf. Tradition, Zurückhaltung und Bescheidenheit wurden den Kindern nicht anerzogen, sondern entwickelte sich von selbst in dieser Umgebung. Angebereien sind ja sinnlos, wenn alles schon da ist.

Cramms Vater war liberal, er unterstützte die Volkspartei und das Entstehen der Republik. Die Kinder wurden von einer Frau unterrichtet, die zuvor die Sprachlehrerin des englischen Königs Edward VIII. war.

Cramm und seine Brüder spielten Tennis, seit sie klein waren. Mit dreizehn Jahren soll Cramm gesagt haben, er wolle der beste Tennisspieler der Welt werden. Damals war das noch ein elitärer Sport. Die Familie hatte enge Beziehungen zu England, dem Mutterland des Tennis. Die Astors gehörten zu ihren engsten Freunden, Cramm war später oft Gast bei der Familie am St James’s Square.

Er verliebte sich in eine junge Frau, die ein paar Güter weiter wohnte, Lisa von Dobeneck. Sie war drei Jahre jünger als er. Mit r 5 Jahren war Lisa bereits auf dem Titelblatt der Eleganten Welt, eine androgyne Schönheit. Ihr Großvater war der damals berühmte Bankier Louis Hagen. Er war an den Bankhäusern Levy und Sal. Oppenheim und an Industrieunternehmen wie Thyssen beteiligt. Als Gottfried und Lisa 1930 heirateten und nach Berlin zogen, finanzierte der Großvater im Wesentlichen das Leben des jungen Paars.

Berlin war damals eine der aufregendsten Städte Europas. In Babelsberg wurden jede Woche drei neue Kinofilme gedreht, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt. Marlene Dietrich, Ruth Landshoff  und Annemarie Schwarzenbach lebten hier, Frauen, die aussahen, wie von Tarnara de Lempicka gemalt. Solche Frauen verdienten ihr eigenes Geld, fuhren ihre Wagen selbst und tanzten im Smoking in einem der 900 Vergnügungslokale der Stadt. Die Zeit machte es möglich. Der Krieg war verloren gegangen, der Kaiser hatte sich aus dem Staub gemacht, und man konnte nur noch an sich selbst glauben. Der erfolgreichste Film war Der blaue Engel: Ein Schüler steckt Lola Lolas Slip in die Manteltasche seines Gymnasiallehrers und bringt ihn zum Wahnsinn. In dem Magazin Die Dame schrieben Vicky Baum und Kurt Tucholsky. Die meist gebrauchten Worte waren »mondän«, »raffiniert« und »extravagant«. Das Wort »modern« hatte noch keinen Plastikaus- China-Geschmack, und »luxuriös« klang noch nicht nach Häusermaklern.

Es gab vollkommen neue Kunstrichtungen, die mit allen Regeln brachen: Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus. Charles Lindberghund Amelia Earhart flogen über den Atlantik, und das erste Großflugzeug für Passagiere wurde gebaut. 1928 fuhr das erste Raketenfahrzeug, das Farbfernsehen wurde auf der Internationalen Funkausstellung vorgestellt, und der britische Arzt Alexander Fleming entdeckte Penicillin. Die Menschen glaubten, jetzt beginne die Zukunft. Sie irrten sich.

In Deutschland galt diese Zukunft ohnehin immer nur für Berlin und ein bisschen für München. Und auch dort nur in der Welt der Wissenschaft, der Literatur, der Mode, der Fotografie, des Films und des Sports. Die meisten Menschen waren arm, viele hungerten, Arbeitslosigkeit und Inflation waren hoch. Und selbst die mondänen Frauen waren nicht wirklich frei. Die Weimarer Verfassung erklärte zwar, Männer und Frauen hätten grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Aber das betraf nur die Wahlen. Das Bürgerliche Gesetzbuch dagegen regelte die Wirklichkeit. Danach war der Ehemann das Haupt der Familie, er hatte das letzte Wort. Er bestimmte den Wohnort und verfügte über das Vermögen. Ehefrauen konnten nicht einmal alleine ein Konto eröffnen. Heute klingt es seltsam, dass die naturwissenschaftlich begabte, sehr wohlhabende, gebildete und selbstbewusste Katia Pringsheim sich »Frau Thomas Mann« nannte. Aber tatsächlich traf das zu, zumindest dem Gesetz nach: Die Frau stand unter der Aufsicht des Mannes. Sie gehörte ihm.

Aber vor allem: Das war nur eine kurze helle Zeit zwischen den Kriegen. Lion Feuchtwanger schrieb schon 1931: »Man hat, wenn man unter den Intellektuellen Berlins herumgeht, den Eindruck, Berlin sei eine Stadt von lauter zukünftigen Emigranten.« Schon zwei Jahre später begann die größte Barbarei der Menschheit in Deutschland. Die Nationalsozialisten vernichteten alles.

Lisa und Gottfried Cramm genossen diese wenigen goldenen Jahre in Berlin, in der glühenden, verrückten, sich selbst feiernden Stadt. Gottfried wollte Diplomat werden und studierte Jura, brach das Studium aber bald wieder ab, weil sein Erfolg als Tennisspieler zu groß wurde. Er spielte im Berliner Club Rot-Weiß, in dem auch Hermann Göring Mitglied war. Lisa war im gleichen Club in der HockeyMannschaft. Trotzdem: Es war ja fast eine Kinderehe, sie überstand die Turbulenzen des Berliner Nachtlebens nicht. Das junge Paar ließ sich scheiden.

1934 stand Cramm auf Platz 3 der Weltrangliste, ein Jahr später auf Platz 2. Er erreichte 1935, 1936 und 1937 das Finale in Wimbledon, verlor aber alle drei Spiele. Er trug noch weiße Flanellhosen mit Bundfalten auf dem Platz, als andere Spieler längst in kurzen Hosen spielten. Cramm galt als der eleganteste Tennisspieler der Welt.

1937 brach er mit der deutschen Mannschaft zu einer Tournee auf, er spielte in Japan, Indonesien, Australien und den USA. Cramm war damals- zusammen mit dem Boxer Max Schmeling- der populärste Sportler Deutschlands. Aber er weigerte sich, in die NSDAP einzutreten oder für die Nationalsozialisten im Ausland Werbung zu machen. Im Gegenteil. Er erwähnte Hitler nie in einer Rede und sah sich zum Beispiel in Australien den Film The Road Back an. Der Film war in Deutschland verboten, weil er auf dem Antikriegsroman Der Weg zurück von Erich Maria Remarque beruhte. Die internationale Presse berichtete über Cramms Kinobesuch. Jahre später hatte Cramm auch Kontakt zum Widerstand, er bot sich Claus von Stauffenberg als Attentäter an.

Als er 1938 von der Tournee nach Deutschland zurückkehrte, wurde er verhaftet. Er wurde angeklagt, eine homosexuelle Beziehung gehabt zu haben, und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Tatsächlich war Cramm bisexuell. Als Strafmilderungsgrund in seinem Verfahren galt, dass der Geliebte Cramms der Schauspieler und Sänger Manasse Herbst- als Jude »nicht besonders schutzbedürftig« gewesen sei. Manasse Herbst musste schon 1936 nach Lissabon und dann weiter nach Paris emigrieren, weil jüdische Künstler in Deutschland inzwischen Berufsverbot hatten. Cramm schickte ihm regelmäßig Geld und wurde deshalb auch noch wegen Devisenvergehen angeklagt.

Als Cramm verhaftet wurde, fuhr seine Mutter nach Berlin und sprach mit Göring und Himmler. Auch die damals reichste Frau der Welt, Barbara Hutton, die Erbin von Woolworth, setzte sich für ihn ein. Sie wollte ihn mit Dollar-Devisen freikau- fen. Hutton und Cramm heirateten zwanzig Jahre später, er war ihr sechster Ehemann. Die Ehe wurde schon nach fünf Jahren wieder geschieden, aber es war eine Liebesheirat gewesen. Auch der schwedische König Gustav V., ein enger Freund Cramms, versuchte, gegen die Verurteilung zu intervenieren.

Cramm wurde nach sieben Monaten Haft entlassen, die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Aber die Vorstrafe blieb im Strafregister, und das war das Ende seiner Tenniskarriere. In Wimbledon durfte er deshalb nicht mehr spielen, und selbst nach 1945 konnte er lange nicht in die USA einreisen.

1940 wurde Cramm als einfacher Soldat an die Ostfront geschickt, 1942 mit Erfrierungen an beiden Beinen wieder entlassen. Nach dem Krieg gründete er ein Unternehmen und half, den Deutschen Tennis Bund aufzubauen. 1951 spielte er ein letztes Mal in Wimbledon. Die Zuschauer hatten ihn nicht vergessen, sie begrüßten ihn mit Starrding Ovations. 1976 starb er bei einem Autounfall in Kairo, sein Fahrer konnte einem Lastwagen nicht ausweichen.

*

»Aber das Besondere an Gottfried von Cramm war nicht sein Lebensweg«, sagt der alte Richter. »So etwas gab es in dieser wahnsinnigen Zeit gar nicht so selten. Das wirklich Bedeutende waren sein An- stand und seine Fairness. Vielleicht wissen Sie es: Über dem Eingangstor, durch das die Spieler in Wimbledon den Center Court betreten, steht: ‘If you can meet with triumph and disaster I And treat those two impostors just the same‘. Das ist ein Satz aus einem Kipling-Gedicht. «

»Das Gedicht kenne ich aus meiner Zeit in England «, sage ich. »Wir mussten es auswendig lernen. Sieg und Niederlage sind Hochstapler, sagt Kipling, und beiden soll man gleich begegnen.«

»Gottfried von Cramm konnte das«, sagt der Richter. »Immer blieb er höflich, nie hat er sich beschwert. Viele sagen, er sei der anmutigste Tennisspieler aller Zeiten gewesen. Der New Yorker schrieb über ihn: >In Sachen Anstandsregeln und unaufdringliches Benehmen könnte sich jeder Spieler am Baron ein Beispiel nehmen.«
Der Richter tippt auf das Schwarz-Weiß-Foto.
»Die Aufnahme zeigt Gottfried von Cramm beim Davis-Cup-Halbfinale 1935. Er spielt im Doppel gegen die Amerikaner. Matchball für Deutschland. Der Return der Amerikaner landet im Aus. Jubel bei den deutschen Fans, ihr Land steht im Finale. Doch Cramm schüttelt den Kopf. Er geht über den Platz zum Hochstuhl des Schiedsrichters. Niemand, keiner der 14 ooo Zuschauer in der Halle, kein Linienrichter, nicht seine Gegenspieler und auch nicht der Schiedsrichter, hat etwas gesehen oder gehört. Nur Cramm selbst erklärt, sein Schläger habe den Ball berührt. Er besteht darauf.«
»Beeindruckend«, sage ich.
»Sie müssen sich das einmal vorstellen: Für autoritäre Regime sind Siege im Sport enorm wichtig. Die ganze Welt sieht dieses Davis-Cup-Finale, auch das offizielle Nazi-Berlin. Cramm weiß das, er riskiert viel. Er hätte es sich einfach machen können, aber für ihn sind Fairness und Anstand wichtiger. Cramms Haltung bringt Deutschland um den Sieg: Nach seinem Einspruch gewinnen die Amerikaner das Spiel. In der Umkleidekabine dreht der deutsche Mannschaftskapitän durch, er soll sogar mit dem Kopf gegen die Wand gerannt sein. Er schreit Cramm an, er sei ein ‘Vaterlandsverräter‘. Aber Cramm bleibt ruhig. „Ich finde nicht, dass ich das deutsche Volk verraten habe“, sagt er. „Ich glaube vielmehr, dass ich es geehrt habe.“
« Der Richter legt das Foto zurück in seine Brieftasche und steckt sie wieder ein.
»Mein Trick war einfach: Wann immer ich Zweifel in einem Verfahren hatte und nicht mehr weiter wusste, habe ich dieses Foto gegen meine Schreibtischlampe gelehnt und darüber nachgedacht«, sagt der alte Richter. »Und so bin ich eigentlich immer ganz gut durchgekommen.«

 

Quelle:  Ferdinand von Schirach, „Der stille Freund“, 2025, S. 114-126,
Luchterhand Literaturverlag, München 2025
ISBN 9783630878126