Gedanken zum 100. Geburtstag
von Gottfried Freiherr von Cramm

Von Eberhard Wensky (Stand: Juli 2009)

Schon zu Lebzeiten war er eine Legende – nicht nur für diejenigen, die ihn noch spielen gesehen haben. Auf Grund seines untadeligen Auftretens wurde er als „Deutschlands bester Diplomat“ tituliert. Lange Zeit war er das deutsche Tennisidol schlechthin.

Mit Worten in diesem Sinne begann Prof. Dr. Egon Steinkamp seine vielbeachtete Biographie über den Mann, der weit über Deutschland hinaus Anerkennung genoss und der durch seine oft gerühmte Fairness zum Inbegriff eines idealen Sportlers geworden war.

Am 7. Juli 2009 jährt sich der Geburtstag von Gottfried von Cramm zum 100. Mal. Als dritter von sieben Söhnen geboren, wuchs Gottfried auf dem elterlichen gut Schloss Brüggen in Niedersachsen auf. Der wohlhabenden Adelsfamilie gehörten in der näheren Umgebung die weiteren Rittergüter Bodenburg, Harbarnsen, Wispenstein, Almstedt, Sellenstedt, Salzdetfurth und der väterliche Stammsitz Schloss Oelber. Gottfrieds Vater, Baron Burghard, hatte in seiner Studienzeit im englischen Oxford die Liebe zum Tennisspiel entdeckt und später auf seinen Besitztümern Tennisplätze bauen lassen. So kamen alle Söhne frühzeitig mit dem Tennissport in Berührung und Gottfried begann im Alter von 11 Jahren, ernsthaft zu spielen. In dieser Zeit war die damalige deutsche Tenniselite oft zu Gast bei der Familie von Cramm. Der Berliner Meistertrainer Roman Najuch (Rot-Weiß), der frühere deutsche Meister und Neutrainer Robert Kleinschroth und sein noch im Turniertennis aktiver Bruder Dr. Heinrich Kleinschroth konnten sich vom Talent von Gottfried überzeugen. Besonders Heinrich, der schon 1913 im Doppelfinale von Wimbledon gestanden hatte, war von Gottfrieds Tennisspiel angetan. Dr. Kleinschroth wurde dann auch über viele Jahrzehnte Coach, Förderer und Freund des „Tennisbarons“, wie alle Welt Gottfried später nannte.

In seiner Jugend hatte von Cramm noch keine großen sportlichen Erfolge. Ein Doppeltitel bei den deutschen Jugendmeisterschaften war die einzige Ausbeute. Bis zum bestandenen Abitur war der „Deutsche Tennis Verein“ im nahegelegenen Hannover sein Heimatverein.

Nach bestandenem Abitur und zum Beginn seines Jurastudiums erfolgte dann aber schnell der Umzug nach Berlin und zum LTTC „Rot-Weiß“. Beim Berliner Club herrschte damals eine wahre Aufbruchstimmung. 1927 war die Sperrung nach dem 1. Weltkrieg vom Internationalen Tennisverband aufgehoben worden und Deutschland durfte damit wieder am weltweiten Davis Cup teilnehmen. Alle damaligen deutschen Spitzenspieler, ob alt oder jung, hatten im „Rot-Weiß“ ihre sportliche Heimat. Das Pfingstturnier bekam durch die Teilnahme der weltbesten Spieler einen besonderen und herausragenden Stellenwert. Die schon genannten Trainer Roman Najuch und Robert Kleinschroth standen den Spitzenspielern und Talenten in vielen Trainingseinheiten mit Rat und Tat zur Seite. Beide Trainer verfügten über eine Spielstärke, die den weltbesten Amateuren zumindest gleichwertig war. Najuch kämpfte mehrmals in Herausforderungsspielen um die Weltmeisterschaft der Berufsspieler im Einzel und war mehrere Male Weltmeister im Doppel. Die Sportverwaltung des Clubs führten die „Strategen“ Conny Weiss, Dr. Hermann „Rux“ Rau und Dr. Heinrich Kleinschroth, der immer mehr in diese Aufgabe hinein wuchs und der trotzdem noch als exzellenter Doppelspieler aktiv war. Das deutsche Leistungstennis wurde vom LTTC „Rot-Weiß“ bestimmt, der als eigener Landesverband gleichberechtigt neben dem Berliner Tennisverband Mitglied im Deutschen Tennis Bund war.

Gottfried von Cramm fand damit bei seiner Ankunft in Berlin ideale Bedingungen vor. Besonders Roman Najuch nahm sich seiner an und trainierte täglich mit dem jungen Spieler, dem noch viele technische Fähigkeiten fehlten. Gottfried war nicht das begnadete Balltalent, im Gegenteil; er musste sich vieles hart erarbeiten. Die großen Schlagzeilen im Tennis machten in den Jahren 1928 und 1929 andere. Daniel Prenn und Hans Moldenhauer waren in die Weltklasse vorgestoßen und erreichten 1929 das Interzonenfinale im Davis Cup gegen die USA. Von Cramm nahm an nur wenigen Turnieren teil, war aber ein gefragter Trainingspartner der etablierten Asse. Sein bestes Turnierergebnis war sein Sieg bei den deutschen Hochschulmeisterschaften, wo er im Endspiel Fritz Kuhlmann schlug. Dieser Erfolg war auch ausschlaggebend dafür, dass er 1929 erstmals auf der deutschen Rangliste (Platz 10 – 13) auftauchte.

1930 fuhr von Cramm an die französische Riviera und nahm an den beliebten Frühjahrsturnieren teil. Er fiel zwar als talentierter junger Spieler auf, größere Erfolge blieben ihm aber dort, wie insgesamt 1930, versagt. Es war ein Jahr des Übergangs. Seine Ranglistenposition in Deutschland verbesserte sich kaum. Das deutsche Tennis litt in dieser Zeit unter dem Verlust von Hans Moldenhauer, der in der Sylvesternacht 1929 unweit der „Rot-Weiß“ Anlage tödlich mit dem Auto verunglückt war.

Bei den Internationalen Meisterschaften der Mittelmeerländer in Athen gewann Gottfried 1931 seinen ersten bedeutenden Einzeltitel und war, zusammen mit Dr. Keinschroth, auch im Doppel erfolgreich. Dieser Erfolg bei einem wichtigen internationalen Ereignis veranlasste ihn, sein Studium aufzugeben und sich nur noch dem Tennissport zu widmen. Unter Berücksichtigung der damaligen Zeit und seiner familiären Herkunft war seine Entscheidung von großer Tragweite, sie bedeutete aber auch den Beginn seiner Weltkarriere als Tennisspieler.

In den folgenden sechs Jahren häuften sich die internationalen Erfolge von Cramms. In kürzester Zeit drang er in die engste Weltspitze vor. Er gewann unzählige nationale und internationale Titel; natürlich mehrmals das Pfingstturnier bei „Rot-Weiß“, ebenfalls die Internationalen Deutschen Meisterschaften am Hamburger Rothenbaum, die French Open in Paris 1934 und 1936 im Einzel. Auch im Doppel reihte sich Erfolg an Erfolg. Schon 1933 gewann er mit Hilde Krawinkel-Sperling das Mixedturnier in Wimbledon und zusammen mit „Henner“ Henkel folgten 1937 die Doppeltitel bei den French Open und den US Open. Drei Mal, von 1935 bis 1937, erreichte Gottfried von Cramm das Einzelfinale in Wimbledon. Er scheiterte jeweils an einem Besseren. Erst war es der Engländer Fred Perry, der ihn 1935 und 1936 bezwang, und 1937, als der Weg, nach dem Übertritt Perrys zu den Berufsspielern, endlich frei zu sein schien, war der Amerikaner Donald Budge nicht zu schlagen. Budge war es auch, der 1938, als erster Tennisspieler überhaupt, den Grand Slam gewann.

Die Erfolge der deutschen Tennisspieler in den Jahren nach 1927 hatten eine Welle der Begeisterung für den weißen Sport im Land ausgelöst. Die „Rot-Weiß“ Anlage am Hundekehlesee wurde mehrmals ausgebaut, um die enorme Zuschauernachfrage befriedigen zu können. Jedes wichtige deutsche Heimspiel im Davis Cup wurde bei „Rot-Weiß“ ausgetragen. Mit seinen Meisterspielern war der Club nicht nur zu einem sportlichen Mittelpunkt geworden, sondern auch zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Berlin. Der „Rot-Weiß“ war auf Augenhöhe mit den bedeutendsten Clubs der Welt, dem All England Club in Wimbledon, dem Westside Club in New York, wo die US Open ausgetragen wurden, und dem TAC Kooyong in Melbourne, dem Austragungsort der Australian Open.

Ein Ereignis in der so beeindruckenden Karriere von Gottfried von Cramm ist in die Geschichte des Tennissports als „Spiel der Spiele“ eingegangen. Noch Generationen später wird dieses Spiel im Interzonenfinale zwischen den USA und Deutschland auf dem Center Court in Wimbledon als das beste und das dramatischste bezeichnet, das jemals stattgefunden hat. Diese Begegnung zwischen den damals weltbesten Spielern Donald Budge und Gottfried von Cramm wurde noch 50 Jahre später von den Tennisjournalisten aus aller Welt bei einer Umfrage des amerikanischen „World Tennis Magazin“ mit dem Titel „Spiel der Spiele“ ausgezeichnet. Diese Einstufung ist umso bemerkenswerter, weil Generation später z. B. „Rod“ Laver, Ken Rosewall, John McEnroe und Björn Borg (um nur einige zu nennen) sich ebenfalls Spiele gegeneinander lieferten, die zu den Sternstunden des Tennissports gezählt werden müssen.

Am 20. Juli 1937, wenige Minuten nach 16.00 Uhr, holte Ted Tingling vom All England Club die beiden Kontrahenten in der Umkleidekabine ab und begleitete sie auf den mit 15.000 Besuchern überfüllten Center Court. Der kahlköpfige Tingling, viele Jahre später auch als „Master of Ceremony“ der WTA in Berlin bei den Damenmeisterschaften tätig, war damals der Verbindungsmann in Wimbledon zwischen der Organisation und den Spielern. Die Chancen für von Cramm, dieses Match zu gewinnen, das nicht nur über den Sieg in diesem Interzonenfinale entschied, sondern eigentlich ein vorweggenommenes Finale für den Gesamtsieg im Davis Cup 1937 war, wurden als ziemlich gering eingestuft. Erst zwei Wochen zuvor hatte Budge im Wimbledonfinale von Cramm in glatten drei Sätzen geradezu deklassiert. Die USA waren nach dem Übertritt von Fred Perry und der damit verbundenen Schwächung des Titelverteidigers England der große Titelfavorit. Sollte Deutschland die Amerikaner jetzt schlagen, würde natürlich die Rolle des Favoriten für das Finale, das zwei Wochen später an gleicher Stelle stattfinden würde, an die deutsche Mannschaft mit von Cramm und Henkel übergehen. Durch den rasanten Aufstieg des jungen „Rot-Weißen“ „Henner“ Henkel hatte Deutschland wieder einen zweiten Weltklassespieler und damit 1937 auch wieder ein starke Mannschaft. In den Jahren davor hatte das anders ausgesehen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialismus hatte Daniel Prenn als Jude 1933 Deutschland verlassen und war nach England emigriert. „Nichtarier“ durften nach der von den Nazis eingeleiteten „Neuordnung des deutschen Sports“ nicht mehr an Länderkämpfen für Deutschland teilnehmen. Prenn wurde 1904 in Wilna geboren und wuchs in St. Petersburg auf. 1920 kam er mit seinen Eltern nach Berlin und spielte zuerst für die Zehlendorfer Wespen, wechselte dann aber schnell zum LTTC „Rot-Weiß“. Mit Daniel Prenn verlor Deutschland 1933 seinen besten Tennisspieler. Als „Einmann Team“ war von Cramm in den Jahren danach gegen die großen Tennisnationen USA, England und Australien nicht wettbewerbsfähig. Jetzt, fünf Jahre später, hatte Henkel die Lücke schließen können, die durch den Weggang von Daniel Prenn entstanden war.

Von Cramm begann das Spiel gegen Budge furios und gewann die ersten beiden Sätze. Budge konterte und siegte in den nächsten beiden Sätzen. Nach Augenzeugenberichten spielten sich beide Spieler im fünften Satz in einen Rausch. Beiden gelang alles; zuerst von Cramm bis zu einer 4-1 Führung und Breakball zum 5-1, dann Budge mit einer unglaublichen Aufholjagd, die ihm letztlich den 8-6 Erfolg bescherte. Kurz zuvor hatten auch von Cramm bei 6-5 und 30-15 nur zwei Punkte zum Sieg gefehlt.

Wie von den Experten vorhergesagt besiegte die USA zwei Wochen später Titelverteidiger England mit 5-0 und holte die wichtigste Trophäe im Tennissport zurück nach Amerika. Die Fachwelt aber sprach nur von dem ungeheuren Match von Cramms gegen Budge. „Big“ Bill Tilden, der viele Jahrzehnte als bester Tennisspieler aller Zeiten galt, kommentierte das Spiel als Augenzeuge: „Ich habe noch niemals zuvor ein derartiges Tennisspiel gesehen und noch niemals zuvor bessere Spieler“:

Im Anschluss an dieses legendäre Davis Cup Spiel ging die deutsche Mannschaft auf eine sehr erfolgreiche siebenmonatige Turnierreise nach Amerika, Asien und Australien. Dr. Heinrich Kleinschroth, der die Tenniskarriere von von Cramm praktisch vom Anfang bis in die Weltspitze begleitet hatte, war inzwischen auch Davis Cup Kapitän geworden. Er war der engste Vertraute von Gottfried und eine große Stütze für ihn, auch in den bevorstehenden schweren Zeiten.

Am 5. März 1938, kurz nach der Rückkehr von der erfolgreichen Turnierreise, wurde von Cramm auf dem heimatlichen Gut in Brüggen von der Gestapo verhaftet. Ein zwei Jahre zurückliegendes Vergehen gegen den damaligen § 175 wurde ihm zur Last gelegt. Am 14. Mai wurde er zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt. Es wird zwar nicht mehr eindeutig zu klären sein, aber die vielfach geäußerte Vermutung liegt nahe, dass es sich bei Anklage und Verurteilung um einen Racheakt der Nationalsozialisten gegen von Cramm gehandelt hat, der sich öffentlich kritisch zum NS Staat geäußert hatte und sich trotz massiver Einschüchterungen und Drohungen standhaft weigerte, der NSDAP beizutreten. In Deutschland wurde die Angelegenheit todgeschwiegen und der Name von Cramm verschwand aus der Öffentlichkeit. Weltweit aber ging ein Aufschrei der Empörung durch die Medien. In Amerika organisierte sein Freund Donald Budge Protestschreiben und Unterschriftenlisten, die eine sofortige Freilassung von Cramms forderten. Auf diplomatischem Weg versuchte der tennisbegeisterte schwedische König Gustav V vergeblich, eine Freilassung zu erreichen. Er hatte ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu von Cramm und war bei seinen vielen Besuchen auf der „Rot-Weiß“ Anlage oftmals sein Tennispartner gewesen. „Mr. G“, wie der König in der internationalen Turnierszene genannt wurde, spielte auch mit den anderen damaligen Tennisgrößen und war regelmäßiger Besucher des Pfingstturniers. Nach der Haftentlassung gab Gustav V von Cramm die Möglichkeit, sich in Schweden von den seelischen und körperlichen Strapazen zu erholen.

Der Deutsche Tennis Bund und der LTTC „Rot-Weiß“ waren bemüht, Gottfried von Cramm in dieser schwierigen Lage zur Seite zu stehen, aber alle Bemühungen, selbst von Nationalsozialisten, die Mitglieder des Clubs waren, blieben erfolglos. Es konnte lediglich eine Verkürzung der Haft erreicht werden, die „wegen guter Führung“ am 16. Oktober 1938 endete. Für den Menschen Gottfried von Cramm, der so viel für sein Land getan hatte, muss die Gefängnisstrafe eine schwere Demütigung gewesen sein.

Im Frühjahr 1939 kehrte der Tennisbaron wieder auf die internationalen Turnierplätze zurück. Vor dieser Rückkehr waren viele Hindernisse zu überwinden. Vor jeder Auslandsreise benötigte er eine Sondergenehmigung, denn seine vorzeitige Entlassung war mit einer zweijährigen Bewährungsfrist verbunden. Es wurde ihm allerdings gestattet, einem ausländischen Club beizutreten und als dessen Mitglied bei ausländischen Turnieren zu starten. Deshalb fand sein Wiedereintritt auf die Tennisbühne in Ägypten als Mitglied des Kairo Gesirah Clubs statt. Schnell erreichte er wieder die alte Leistungsstärke. Im Frühjahr und Sommer 1939 spielte er ausschließlich im Ausland. Seine gesamten Vorbereitungen waren auf Wimbledon ausgerichtet. Budge war Berufsspieler geworden und endlich schien der Wunsch in Erfüllung zu gehen, den von Cramm schon als Jugendlicher geäußert hatte: Einmal World Champion sein.

Parallel dazu versuchte der Deutsche Tennis Bund vergeblich, von Cramm wieder ins Davis Cup Team 1939 zu bekommen, denn eine Mannschaft mit von Cramm und Henkel schien nach dem Abgang von Budge zu den Profis unschlagbar zu sein.

Von Cramms Traum vom Wimbledonsieg ging nicht in Erfüllung. Die für die Teilnahme an den Grand Slam Turnieren notwendige Anmeldung durch den Deutschen Tennis Bund erfolgte nicht. Wieder versuchte König Gustav V zu helfen und bot von Cramm die kurzfristige Einbürgerung und die Anmeldung für Wimbledon durch Aufnahme ins schwedische Team an. Von Cramm lehnte diesen Weg ab, startete aber aus Dankbarkeit in einem Länderkampf gegen die USA für Schweden, den die schwedische Mannschaft gewann.

Das Verbot der Teilnahme von Cramms an den wichtigsten internationalen Turnieren sorgte erneut weltweit für Schlagzeilen. An der jährlichen Generalprobe für Wimbledon, dem Turnier im Londoner Queens Club, durfte von Cramm auf besondere Einladung der Engländer teilnehmen. Vom Publikum mit besonderen Ovationen bedacht, gewann er sowohl im Einzel auch im Doppel überlegen. Im Halbfinale gelang ihm dabei ein 6-0 und 6-1 Sieg gegen Bobby Riggs (USA), der wenig später dreifacher Wimbledonchampion wurde.

Das Verbot, in Wimbledon anzutreten, hat von Cramm sehr frustriert. Er wollte sofort das Angebot des schwedischen Königs annehmen und schwedischer Staatsbürger werden und wurde Mitglied des Tennisclubs in Bastad.

Bevor diese Angelegenheit endgültig vollzogen werden konnte, begann am 1. September 1939 der zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Von Cramm reiste sofort von Stockholm nach Bodenburg, um seiner Familie nahe zu sein. Seinen Einberufungsbefehl bekam er im Mai 1940 und Ende 1941 wurde er mit seinem Bataillon an die russische Front verlegt. Mit schweren Erfrierungen an beiden Beinen entkam er 1942 diesem Inferno und erreichte, nach Lazarettaufenthalten in Russland und Warschau, für einen Heimaturlaub das elterliche Gut Bodenburg. Vorher hatte er noch das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhalten. Ein Führererlass, demzufolge unzuverlässige „Elemente“ aus der Wehrmacht zu entfernen seien, machte von Cramm, kurz vor dem drohenden zweiten Fronteinsatz, zum Zivilisten. Dieses Glück hatte sein Daviscuppartner und Clubkamerad „Henner“ Henkel nicht. Er wird seit 1943 in Russland vermisst und gilt als dort gefallen.

In der anschließenden Zeit bis zum Ende des Krieges hielt von Cramm sich mehrfach in Schweden auf. Schweden war neutral und die Ausreiseanträge nach Einladung durch „Mr. G“, den schwedischen König, wurden erstaunlicherweise vom NS Regime genehmigt. Bei seinen längeren Aufenthalten widmete sich von Cramm vor allem der Förderung der beiden jungen talentierten Tennisspieler Lennart Bergelin und Sven Davidsson. Das Ende des zweiten Weltkrieges erlebte von Cramm in Bodenburg bei seiner Familie, von der zwei seiner Brüder als gefallen oder vermisst galten.

Bodenburg wurde am 8. April 1945 von den Amerikanern besetzt und gehörte später zur britischen Besatzungszone. Gottfried von Cramm gelang es auf Grund seiner internationalen Bekanntheit, die heimischen Güter, die im Krieg nicht beschädigt wurden, nicht räumen zu müssen. In den folgenden Wochen wurde das Gut Bodenburg zum Sammelplatz für viele seiner Kriegs- und Tenniskameraden, die als heimatlose Flüchtlinge und Kriegsversehrte Hilfe suchten. Von Cramm kümmerte sich um jeden und bald begann auch wieder der Tennisbetrieb. Mit Werner Beuthner, mit dem er im Krieg zusammen in einer Kompanie diente, organisierte er Schaukämpfe, deren Erlöse sie kriegsversehrten Heimkehrern und Flüchtlingen zur Verfügung stellten. Die Schaukämpfe wurden von vielen Zuschauern besucht. Auch bei den Zehlendorfer Wespen gab es 1947 eine überfüllte Anlage beim Auftreten von Cramms. Durch seine internationalen Kontakte öffneten sich für den „Gentleman von Wimbledon“ Türen bis in die höchsten Kreise der Besatzungsmächte. Vom Cramm war 1948 maßgeblich an der Neugründung des Deutschen Tennis Bundes, 1950 an der Wiederaufnahme des DTB in den Internationalen Tennisverband (ITF) und natürlich 1948 auch an der Wiederzulassung des LTTC „Rot-Weiß“ beteiligt. In diesen Jahren erhielt er von der deutschen Presse den Titel „Botschafter des deutschen Sports“.

Nebenbei spielte von Cramm natürlich intensiv Tennis und kehrte 1950 auf die internationale Bühne zurück. Wieder war Ägypten seine erste Station. Er war jetzt 40 Jahre alt, erreichte aber trotzdem schnell wieder die internationale Klasse. Im Finale von Alexandria besiegte er den Wimbledonfinalisten des Vorjahres, Jaroslav Drobny. Im LTTC „Rot-Weiß“ hatte er dafür gesorgt, dass schon 1949 und 1950 die Tennisweltklasse ihre Visitenkarte abgeben konnte. Auf dem für 7.000 Zuschauer neu errichteten Center Court präsentierten sich die Amerikaner Frank Parker, Bill Talbert, Tony Trabert und die Australier Geoff Brown und Bill Sidwell.

1951 gab von Cramm in Wimbledon ein vielbeachtetes „Comeback“, hatte aber leider Pech bei der Auslosung. Schon in der ersten Runde schied er gegen einen der Favoriten, Jaroslav Drobny, aus, dem damit die Revanche für die erlittene Niederlage in Alexandria gelang. Eine außergewöhnliche Ehre als Zeichen der besonderen Wertschätzung wurde von Cramm von den Offiziellen des All England Clubs gewährt: Entgegen der üblichen Praxis setzte das Turnierkomitee nicht das Match des Vorjahressiegers (Budge Patty) als Eröffnungsspiel des Turniers auf dem Center Court an, sondern das Spiel von Cramm gegen Drobny. Von Cramm wurde begeistert gefeiert und trotz seiner Niederlage vom Publikum mit stehenden Ovationen verabschiedet.

Eine Ausnahmeleistung war von Cramm wenige Wochen zuvor beim „Rot-Weiß“ Pfingstturnier in Berlin gelungen. Im Halbfinale lieferte er sich mit dem amtierenden Wimbledonsieger und Weltranglisten-Ersten Budge Patty (USA) ein dramatisches Match. Nach über drei Stunden Spielzeit und nach Abwehr von vier Matchbällen hieß der Sieger Patty mit 16-14 im entscheidenden dritten Satz.

Die Wiederzulassung Deutschlands für den Davis Cup Wettbewerb beflügelte von Cramm zusätzlich und gab ihm nochmals einen Leistungsschub. Nach Siegen über Jugoslawien, Dänemark, Belgien und Italien erreichte Deutschland unter der bewährten Leitung von Dr. Heinrich Kleinschroth die Schlussrunde der Europazone. Außer im Spiel gegen Dänemark musste von Cramm dabei in allen Begegnungen das entscheidende Einzel beim Gesamtstand von 2-2 bestreiten. Zusammen mit seinem Partner Rolf Göpfert („Rot-Weiß“) gewann er auch alle Doppelspiele. Es war eine enorme Leistung von Cramms, als 41jähriger die „best of five“ Matches körperlich und mental durchzustehen und auch dem Druck standzuhalten, immer die entscheidende Begegnung für das Team gewinnen zu müssen. Im Finale gegen Schweden wurde von Cramm dann von seinen ehemaligen Schülern Bergelin und Davidsson bezwungen und Deutschland verlor mit 0-5. Am Ende des Tennisjahres wurde er auf Platz Nr. 3 der europäischen Rangliste geführt.

In den folgenden Jahren wurden seine aktiven Tennisauftritte seltener. Sein letztes Spiel im Davis Cup bestritt er 1953 gegen Robert Haillet im Spiel gegen Frankreich. Trotz einer 2-0 Satzführung unterlag er in fünf Sätzen. Im Alter von nunmehr 44 Jahren waren die körperlichen Anstrengungen eines Davis Cup Spiels für ihn nicht mehr zu verkraften. Von Cramm hat insgesamt an 37 Davis Pokal Begegnungen teilgenommen. Von 69 Einzelspielen gewann er 58, von 33 Doppelspielen 24; ein fantastischer Rekord.

Als Aktiver blieb er noch insbesondere dem Pfingstturnier in seinem Berliner Club verbunden. Als fast 51jähriger erreichte er 1960 noch mal das Finale im Doppel. Sonst widmete sich von Cramm zielstrebig dem Aufbau einer beruflichen Existenz. Hamburg wurde seine neue Wirkungsstätte und Heimat.

Schon frühzeitig, ab Anfang der fünfziger Jahre, trieb er die Nachwuchsförderung im deutschen Tennis voran. Die „Tennisschule von Cramm“ mit den Trainern Werner Beuthner und Kurt Pohmann betreute die jungen Talente Franz Feldbausch, Beppo Pöttinger, Christoph Biederlack, Peter Scholl und Rupert Huber. Aber erst deren Nachfolger, der berühmte „39er Jahrgang“, konnte Deutschland wieder Weltgeltung verschaffen.

Gottfried von Cramm übernahm in den sechziger Jahren verantwortliche Positionen in der Sportverwaltung. Viele Jahre sorgte er als Präsident des LTTC „Rot-Weiß“ dafür, dass dieser Club sich im Sport und in der Verwaltung zeitgemäß und professionell aufstellen konnte. Durch seine enorme Bekanntheit gelang es ihm, dem Club Großsponsoren zuzuführen, mit deren Mittel die Grundidee des „Rot-Weiß“ finanziert werden konnte; die aufwendige Förderung von begabten Tennisspielern. 1957 sorgte erst eine hohe finanzielle Zuwendung von von Cramms Freund Helmut Horten für die Möglichkeit, den Neubau des „Rot-Weiß“ Clubhauses zu beginnen.

Als Präsident der Hamburger Tennis Gilde, die, bis zur Übernahme durch den Deutschen Tennis Bund, die veranstaltende Organisation der Internationalen Meisterschaften von Deutschland am Rothenbaum war, sorgte er für einen reibungslosen Übergang des Turniers von einer Amateurveranstaltung zum offenen Turnier mit Preisgeldern.

1947 und 1948 wurde Gottfried von Cramm von der Sportpresse zum „Sportler des Jahres“ in Deutschland gewählt und mit dem Silbernen Lorbeerblatt der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Natürlich hatte ihn die Mitgliedschaft des LTTC „Rot-Weiß“ schon längst zu ihrem Ehrenmitglied gewählt.

In persönlichen Gesprächen mit dem Verfasser dieses Berichts hat Dr. Heinrich Kleinschroth immer wieder darauf hingewiesen, dass der „Tennisbaron“ 1939, bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges, noch längst nicht sein Leistungspotential ausgeschöpft hatte. Ohne die Unterbrechung durch die Kriegsjahre wäre von Cramm über viele Jahre der überragende Tennisspieler in der Welt geworden und hätte sicherlich auch den Davis Pokal mit Partner „Henner“ Henkel für Deutschland gewonnen, so die Aussagen von Dr. Kleinschroth. Es ist schon eine Tragik, dass von Cramm die wichtigsten Spiele seiner Karriere (drei Mal Finale Wimbledon und das „Spiel der Spiele“ im Davis Cup) verloren hat und, bedingt durch die schrecklichen Zeitumstände, keine Gelegenheit mehr erhielt, dies zu korrigieren. So wurde von Cramm von der Fachwelt über Generationen als der beste Spieler bezeichnet, der nie Wimbledon gewonnen hat. Von Cramm selber sagte, er sein kein glückloser Spieler gewesen. Wenn Wimbledon auf Asche stattfinden würde, hätte er bestimmt auch einmal gewinnen können, aber auf Rasen seien Perry und Budge einfach besser gewesen.

Ein anderer vollendete Jahrzehnte später, woran von Cramm gescheitert war. Boris Becker wurde am 7. Juli 1985, dem Geburtstag Gottfried von Cramms, erster deutscher Wimbledonsieger. Und den ersten deutschen Sieg im Davis Pokal gab es 1988 ausgerechnet gegen Schweden in Göteborg, gegen ein Land also, zu dem von Cramm eine so besondere und enge Beziehung hatte.

Gottfried von Cramm war zwei Mal verheiratet. Am 30. September 1930 heiratete er seine Jugendliebe Lisa von Dobeneck. Lisa war ebenfalls eine ausgezeichnete Sportlerin und spielte nach der Eheschließung viele Jahre in der damals sehr erfolgreichen Hockeymannschaft des LTTC „Rot-Weiß“. Nach der Trennung von Gottfried heiratete Lisa noch zwei Mal; 1940 das deutsche Eishockey-Idol Gustav Jaenecke, der auch ein hervorragender Tennisspieler war, und in dritter Ehe, den Mediziner Dr. Wolfgang Ammann.

Die zweite Ehe von von Cramm war ein großes Medienereignis und wurde weltweit in den Klatschspalten der Boulevardpresse verfolgt. Am 8. November 1955 heiratete er im Versailler Rathaus die Woolwortherbin Barbara Hutton und wurde damit ihr sechster Ehemann.

Enge freundschaftliche Verbindungen hatten die beiden Weltenbummler schon vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges gehabt. Es war allerdings keine große Überraschung, dass das Paar sich bereits nach zwei Jahren wieder trennte. Von Cramm war durch seine vielen geschäftlichen Interessen sehr eingespannt und Barbara Hutton reiste nach wie vor rastlos um die Welt.

Unter Federführung Gottfried von Cramms wurde 1967 der „Internationale Tennisclub von Deutschland“ gegründet. Zweck des Vereins ist es, durch sportliche und gesellschaftliche Veranstaltungen die Verbundenheit unter den Spielern zu fördern, die im internationalen Tennis aktiv sind oder waren. Bis zu seinem Tod war von Cramm Präsident dieser Vereinigung. Sein Erbe in dieser Position trat erst Fritz Kuhlmann und dann sein ehemaliger Tennisschüler Franz Feldbausch an. Derzeitiger Präsident ist Alexander Kurucz und Ehrenpräsident seit vielen Jahren der große Tennisfreund Dr. Richard von Weizsäcker. Die Geschäfte des „Internationalen Clubs“ leitete aber eigentlich über viele Jahrzehnte der enge Freund von Cramms, Wolfgang Hofer, als Sekretär im Vorstand.

Am 9. November 1976 fand das bewegte Leben von Cramms ein jähes Ende. Auf der Straße zwischen Kairo und Alexandria, wo er geschäftlich unterwegs war, hatte sein PKW einen Frontalzusammenstoß mit einem entgegenkommenden Lastwagen. Ausgerechnet in Ägypten, dem Land, dem er viel zu verdanken hatte und dem er so verbunden war, ging sein Leben auf so tragische Weise zu Ende.

Die Sportwelt hielt den Atem an, als die Nachricht vom Tod von den Agenturen verbreitet wurde. Die deutschen Fernsehanstalten unterbrachen ihre Programme und es gab am folgenden Tag wohl keine deutsche Zeitung, die die Mitteilung vom Tod Gottfried von Cramms und Berichte über sein Leben nicht auf der Titelseite veröffentlichte. Eine Woche später fand in Bodenburg unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, der Medien und seiner vielen Tenniskameraden die Trauerfeier statt. Beigesetzt wurde von Cramm im engsten Familienkreis auf dem Familienfriedhof in Oelber.

Der LTTC „Rot-Weiß“ gab zum Tod von Gottfried von Cramm eine Sonderausgabe der Clubzeitung mit dem Titel „Fairplay – Ein Leben lang“ heraus. Einige Jahre später gelang es dem Club auch, die Sackgasse des Oberhaardter Weges in „Gottfried-von-Cramm Weg“ umbenennen zu lassen. Die offizielle Clubadresse trägt seitdem den Namen seines prominentesten Mitglieds. Der LTTC „Rot-Weiß“ hat ihm damit ein bleibendes Andenken für lange Zeit geschaffen, das viele kommende Generationen am traditionellen deutschen Turnierstandort „Rot-Weiß“ an einen großartigen Tennisspieler und Menschen erinnern wird.

Internationale Ehrungen erhielt von Cramm nach seinem Tod im Wimbledonmuseum, wo er mit „Rot-Weiß“ Clubjacke ausgestellt ist und in Newport (USA), wo er als erster deutscher Tennisspieler in die „International Hall of Fame“ aufgenommen wurde.

Es ist an der Zeit, dass auch der Deutsche Tennis Bund einen seiner erfolgreichsten und populärsten Repräsentanten mit einer besonderen Ehrung würdigt. Eine Namensgebung für das Center Court Stadion am Hamburger Rothenbaum bietet sich geradezu an. Kein anderer Teilnehmer hat mehr Titel an der traditionsreichsten deutschen Tennisstätte gewonnen als von Cramm. Nach Beendigung seiner aktiven Karriere war er jahrelang Präsident des Turniers und hatte über lange Zeit seinen Wohnsitz in Hamburg. Eine Benennung des Center Courts am Hamburger Rothenbaum in „Gottfried-von-Cramm-Stadion“ würde die Person und den Namen von Cramm weltweit in der Tennisgemeinschaft in Erinnerung halten.

(Viele Daten und Fakten in diesem Bericht sind der Biographie von Prof. Dr. Egon Steinkamp über das Leben Gottfried von Cramms entnommen)